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26. März 2010

Kaum bemerkt gibt es in Dänischenhagen eines von sieben Erwin-Steffen-Kinderheimen - Rückkehr zu den Eltern ist das Ziel

Dänischenhagen - Manche Dinge blühen im Verborgenen. Wenn man in Dänischenhagen nach einem Kinderheim fragt, gibt es staunende Gesichter. Nie gesehen. Nie gehört. Gibt es nicht. Das ist ein Irrtum. In einem weiß und rot gestrichenen Einfamilienhaus leben seit 1975 bis zu zehn Kinder fast wie in einer richtigen Familie. Erwin Steffen ließ es damals bauen - mit eigenen Zimmern für die Kinder und viel Garten drumherum.

Antonia (9) in ihrem Reich: Unter dem Prinzessinnen-Baldachin und mit ihrem Eisbären fühlt sie sich geborgen.„Wer bist du denn?“ Neugierig guckt Antonia (9) aus ihrem Zimmer, das gleich neben der Haustür liegt. Aus dem oberen Stockwerk kommt Karin (11) herunter und guckt staunend auf die Kameratasche. „Interviewst Du mich auch?“ Lachend mischt sich Hausleiter Eike Hagen ein und führt erst einmal durchs Haus. Den hellen Flur entlang in eine geräumige Wohnküche. Quietschgrüne Stühle um einen großen Tisch zeugen von einer großen „Familie“. An der Wand hängen zehn verschiedene Stundenpläne. „Heute hab' ich Eike beim Lasagnemachen geholfen“, erzählt Karin und drückt ihren Heimleiter ganz fest. „Der macht die beste Lasagne, die es gibt.“ Heimleiter oder Hausleiter? „Wir sagen hier Wohngruppe“, sagt der 28-jährige Sozialpädagoge und grinst, „und unsere Einrichtung heißt Kinder- und Jugendwohnhaus Dix, und deshalb bin ich hier Hausleiter.“ Zusammen mit vier weiteren Kollegen teilt er sich den Dienst. Die Arbeit geht von mittags bis mittags, geschlafen wird im Büro auf dem Ausziehsofa. Das Zimmer liegt gleich schräg gegenüber von der Küche.

Sarah (11) schaut kurz vorbei. Sie muss zum Fußballtraining ins Dorf. Mitbewohnerin Anna (15) bringt sie zu Fuß dorthin. Moritz (17) will nach draußen - chillen. Alles kein Problem. „Unsere Kinder sollen es so haben wie andere Kinder auch. Da gehört zum Beispiel auch mal Übernachtungsbesuch von Klassenkameraden dazu“, erzählt Eike Hagen. „Keiner schämt sich dafür, in der Wohngruppe zu wohnen. Viele sind zwar traurig und kommen in Erklärungsnot, wo Mama und Papa sind, aber schämen tut sich keiner.“ Um Vorurteile gleich aus dem Weg zu räumen, werden die Eltern der Freunde und die Lehrer eingeladen. Und sollte doch mal einer in der Schule sticheln und „Heimkind“ rufen, hat Eike Hagen die passenden Antworten schon parat: „Dann müsst ihr sagen: Hast du auch ein eigenes Zimmer? Fährst du im Sommer auch drei Wochen weg? Hast du auch ein großes Trampolin im Garten?“„Das einzige was ihnen peinlich ist, ist, dass sie nicht wissen, wann sie wieder zu Mama können“, erzählt Eike Hagen. Teilweise haben sich die Eltern getrennt, manchmal gab es einen Todesfall oder die Verhältnisse zu Hause waren desolat. Gründe gibt es viele, warum Kinder vom Jugendamt aus der Familie geholt werden. Ziel aller Erwin-Steffen-Heime ist es jedoch, die Kinder wieder zu ihren Eltern „zurückzuführen“, wie es so schön heißt. Was häufig auch gelingt, erzählt Geschäftsführer Toni Dix, nach dem auch das Haus in Dänischenhagen benannt ist. Die Kinder dort nennen sich liebevoll „Dixies“. Dix und Hagen sind zwei Männer, die bei Jugendlichen schnell den Stempel „cool“ erhalten. Toni Dix trägt einen langen Zopf und Schlangenlederstiefel, Eike Hagen hat Tätowierungen an Arm und Rücken.

In die Welt der Bücher abtauchen: Karin (11) ist ein Fan von Cornelia Funke und liebt das Buch „Tintenherz“.Weiter geht's ins obere Stockwerk. Computer auf dem Schreibtisch, Lippenstifte im Regal, Mädchen-Liebesromane am Bett. Bei den Jungen hängen Judo-Medaillen oder Fußball-Urkunden an der Pinnwand. Die Betten sind gemacht, alles ist aufgeräumt. „Die Kinder brauchen viel Struktur“, erzählt Eike Hagen. Jeden Tag werden die Hausaufgaben kontrolliert. Zwei Mal die Woche darf nach Hause telefoniert werden. Einmal im Monat können die Eltern zu Besuch kommen. Alle vier Wochen steht eine Heimfahrt auf dem Programm. In den Vereinen in der Umgebung wird viel Sport gemacht. „Ich reite“, erzählt Antonia stolz und zupft an ihrem rosa Kleid. „Und später werde ich Profireiterin.“ Immer wieder gibt es Projekte, die alle Bewohner der sieben Erwin-Steffen-Heime nutzen können: eine Musik-Band, eine Kurz-Skireise in die Bispinger Heide, Besuche im Fitnessstudio oder die kleine Kfz-Werkstatt in Osdorf, in der Mopeds repariert werden, und wo gerade ein alter Verkaufsanhänger zum Diskowagen umgebaut wird.Klingt nach einem tollen Leben? „Bei uns gibt es genauso Stress wie in anderen Familien auch“, sagt Eike Hagen. Doch: „Eine kaputte Tür gibt es bei uns nicht“, fügt Toni Dix hinzu. „Was nicht heißt, dass bei uns nichts kaputt geht. Aber wenn etwas passiert, müssen die Kinder mithelfen.“ Geschäftsführerin Heidrun Steffen (40), selbst Mutter dreier Kinder, verteilt derweil in der Küche Kuchen. Sie ist stolz auf die Leistung ihres Vaters Erwin Steffen. „Kinderheime können so ganz anders sein, als in der Öffentlichkeit vielfach angenommen“, sagt sie und ruft zum Kaffeetrinken. Bei Erdbeerkuchen und Bienenstich wird über Schultag, Liebeskummer und sportlichen Erfolg geplaudert. Fast wie in einer richtigen Familie.

Gelesen bei: www.kn-online.de